Projekt 298 Bangladesch: Bericht August 2025 unserer Partner-Organisation Netz Bangladesch
Existenzsicherung für extrem arme Familien

Herausforderungen in der Projektregion
Im Norden Bangladeschs leben viele Familien mit der ständigen Angst vor der nächsten Flut, dem nächsten Sturm, der nächsten Dürre. Der Klimawandel ist für sie keine abstrakte Bedrohung – er ist alltägliche Realität. Jahr für Jahr werden die Wetterextreme spürbarer: Die Flüsse treten immer häufiger über die Ufer, das Wasser im Boden wird knapper, der Monsun bringt unvorhersehbare Regenmassen. Für Menschen, die in extremer Armut leben, bedeutet das: Noch weniger zu essen, noch weniger Einkommen, noch weniger Sicherheit.
Besonders betroffen sind Familien ohne eigenes Land – kleinbäuerliche Familien, TagelöhnerInnen, WanderarbeiterInnen. Sie arbeiten für andere, oft auf gepachtetem Land, abhängig vom Wetter und dem Wohlwollen der ArbeitgeberInnen. Wenn die Ernte zerstört wird, fehlt der Lohn. Wenn der Boden austrocknet oder überschwemmt wird, fehlt die Lebensgrundlage. Viele dieser Familien müssen mit weniger als 40 Cent pro Kopf und Tag auskommen. Sie haben keine Rücklagen, keine Reserven, keine Absicherung. Zwar gibt es staatliche Hilfen – Lebensmittelkarten, Rentenprogramme, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Doch in der Realität scheitert der Zugang daran, dass Korruption, Vetternwirtschaft und fehlende Transparenz den Weg zu sozialen Sicherungssystemen versperren. Die am stärksten Benachteiligten bleiben außen vor.
Auch Vorsorge gegen Katastrophen, wie Frühwarnsysteme oder Notfallpläne, erreichen diese Menschen kaum. Informationen über den Klimawandel, über Anpassungsstrategien oder über ihre Rechte stehen ihnen selten zur Verfügung. Wenn der nächste Sturm kommt, sind sie oft allein. Doch genau hier setzt das Programm an: Es stärkt Menschen dort, wo sie leben – mitten in der Unsicherheit. Damit sie nicht nur überleben, sondern sich aus eigener Kraft eine widerstandsfähige und würdige Zukunft aufbauen können.
Unterstützung für die am stärksten Benachteiligten
Das Projekt richtet sich an Familien, die unterhalb der extremen Armutsgrenze leben. Sie besitzen kein Land, verfügen über keine oder nur sehr wenige produktive Mittel und müssen als TagelöhnerInnen in der Landwirtschaft arbeiten – meist ohne verlässliches Einkommen. Alternative Erwerbsmöglichkeiten sind in den ländlichen Regionen kaum vorhanden.
Diese Familien sind häufig von staatlichen Entwicklungsmaßnahmen ausgeschlossen. Auch grundlegende Rechte wie der Zugang zu Bildung bleiben ihnen oft verwehrt. Viele Kinder besuchen keine Schule oder brechen diese frühzeitig ab. Rechtsverletzungen wie Kinderheiraten oder häusliche Gewalt kommen regelmäßig vor.
Frauen sind besonders benachteiligt – rechtlich, ökonomisch und gesellschaftlich. Gleichzeitig liegt bei ihnen ein großes Potenzial: Wenn Frauen gestärkt werden, profitieren ganze Familien und Dorfgemeinschaften. Deshalb stehen sie im Mittelpunkt des Programms – als zentrale Akteurinnen, deren Eigeninitiative gezielt gefördert wird.
Was das Projekt erreichen will
Ziel des Projekts ist es, Familien, die in extremer Armut leben, dabei zu unterstützen, ein dauerhaftes und verlässliches Einkommen zu erwirtschaften. Dadurch verbessern sich nicht nur ihre wirtschaftlichen Lebensbedingungen, auch ihre sozialen Handlungsspielräume erweitern sich.
Die Teilnehmenden stärken ihre Selbsthilfekräfte und organisieren sich in Gruppen, um sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam Zugang zu staatlichen Leistungen und Rechten zu erlangen. Gleichzeitig erwerben sie Wissen und Kompetenzen, um besser mit den Folgen des Klimawandels umgehen zu können, etwa bei Überschwemmungen, Dürren oder anderen Naturereignissen. So wächst ihre Fähigkeit, auf Krisen zu reagieren (Resilienz) und sich aktiv an veränderte Umweltbedingungen anzupassen (Adaptionsfähigkeit). Das Projekt schafft damit eine Grundlage für mehr Eigenständigkeit und langfristige Sicherheit.
Projektstandort
Das Projekt wird in abgelegenen ländlichen Regionen im Norden Bangladeschs umgesetzt. In diesen Gegenden ist der Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, besonders hoch. Viele Familien sind direkt vom Agrarsektor abhängig – einem Bereich, der stark von den Folgen des Klimawandels betroffen ist.
Zunehmende Dürren, ungewöhnlich lange Kälteperioden und andere klimatische Veränderungen führen immer häufiger zu Ernteausfällen. Für viele Haushalte bedeutet das nicht nur den Verlust von Nahrung, sondern auch den Wegfall ihrer wichtigsten Einkommensquelle. Genau hier setzt das Projekt an – dort, wo die Not groß und staatliche Unterstützung kaum erreichbar ist.
Wer setzt das Projekt um?
Das Projekt wird im Nordwesten Bangladeschs gemeinsam mit vier erfahrenen lokalen Partnerorganisationen umgesetzt: MJSKS, JCF, DASCOH und Pollisree. Sie arbeiten seit vielen Jahren vertrauensvoll mit NETZ zusammen und verfügen über tiefes Wissen über die Lebensrealitäten in den Gemeinden. Diese enge Partnerschaft stärkt lokale Strukturen und baut langfristige Kapazitäten auf. Die Umsetzung erfolgt mit regionaler Fachkompetenz, mit Sensibilität für lokale Gegebenheiten und vorhandenen Ressourcen – direkt vor Ort.
Das NETZ-Team in Bangladesch begleitet die Projektarbeit mit qualifizierten MitarbeiterInnen. Sie sichern die Qualität der Maßnahmen, führen Schulungen durch und sorgen für eine transparente und zuverlässige Verwaltung der Projektmittel.
Projektleiter: Habibur Rahman Chowdhury
So wird das Projekt umgesetzt
Nachhaltige Einkommen in Zeiten des Klimawandels
In den letzten drei Jahren haben über 8.000 Familien in Nordbangladesch – mit Unterstützung des Entwicklungshilfeklubs – durch das Programm ihre ökonomische und soziale Widerstandsfähigkeit gestärkt, trotz zunehmender Klimarisiken in der Region. Der Aufbau nachhaltiger, einkommensschaffender Maßnahmen ermöglicht es ihnen, auf klimabedingte Veränderungen besser zu reagieren und langfristig unabhängiger zu werden.
Zentrale Akteurinnen des Programms sind die Frauen: Sie erhalten ein individuell abgestimmtes Startpaket mit produktiven Mitteln (im Wert von ca. 135 €), zum Beispiel Geflügel, Ziegen, Saatgut oder Pachtland. Die Auswahl erfolgt im Rahmen eines Familienentwicklungsplans. Die Anschaffung findet bewusst lokal statt – unter Beteiligung der Frauen selbst – um die Verbindung zu lokalen Märkten zu stärken und Eigenverantwortung zu fördern.

Begleitend dazu erwerben die Teilnehmenden praxisnahes Wissen, unter anderem zu klimaangepasster Landwirtschaft, Tierhaltung, Schädlingsmanagement, Lagerung, Weiterverarbeitung sowie zur Vermarktung ihrer Produkte. Die Techniken werden gemeinsam mit lokalen Fachkräften ausgewählt mit Blick auf Klimatauglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. In den Schulungen lernen die Teilnehmerinnen u.a., wie sie „Hatching Pots“ selbst herstellen – ein einfacher, aber wirkungsvoller Schritt, um die Brutbedingungen zu verbessern und mehr Küken aufzuziehen.
Ein Schwerpunkt liegt dabei für alle auf dem Anbau von Haus- und Dachgärten: Überschüsse aus den Gärten verbessern die Ernährung, sichern Vorräte und ermöglichen zusätzliche Einnahmen. Erträge werden in vielen Fällen wieder in neue Maßnahmen zur Einkommensschaffung investiert. So wächst nicht nur das Einkommen, sondern auch das Vermögen der Haushalte. Es entsteht eine Existenzgrundlage, die saisonalen Schwankungen standhält und sich an veränderte Bedingungen anpassen kann.

Vorsorgen, statt nur reagieren
Ein zentrales Ziel ist es, erreichte Fortschritte nachhaltig zu sichern – auch in einem von Klimarisiken geprägten Umfeld. Viele Familien legen kleine Ersparnisse zurück, etwa in Gruppenkassen oder durch traditionelle Praktiken wie das tägliche Zurücklegen einer Handvoll Reis. Diese Rücklagen helfen im Fall von Krankheit, Ernteverlust oder familiären Notlagen.
Zugleich wenden die Teilnehmenden das Wissen aus Schulungen in Katastrophenvorsorge und Risikomanagement praktisch an. Sie entwickeln eigene Notfallpläne, identifizieren lokale Risiken und erarbeiten gemeinsam mit geschulten Freiwilligen, darunter viele Frauen, Strategien zur Vorbereitung und Frühwarnung. So wächst nicht nur der Schutz der Lebensgrundlage, sondern auch das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit.
Starke Gruppen – starke Stimmen
Im Zentrum des Programms stehen selbstorganisierte Frauengruppen, in denen sich 10 bis 20 Teilnehmerinnen wöchentlich treffen. Diese Gruppen fördern gegenseitige Unterstützung, stärken das Selbstbewusstsein und ermöglichen gemeinsames Handeln. Sie bieten Raum, um Herausforderungen zu besprechen, Wissen zu teilen und sich zu Themen wie Einkommen, Gesundheit, Frauenrechten oder Katastrophenvorsorge weiterzubilden.

Die Gruppenmitglieder übernehmen rotierend Leitungsfunktionen – etwa als Vorsitzende, Schriftführerin oder Kassenwartin – und entwickeln dabei praktische Führungs- und Organisationskompetenzen.
Besonderer Wert wird auf den Zugang zu Rechten gelegt, insbesondere im Bereich Landnutzung und staatliche Leistungen. Schulungen befähigen die Teilnehmerinnen, ihre Anliegen gegenüber lokalen Behörden selbstbewusst zu vertreten. Auf Gemeindeebene bündeln Zusammenschlüsse mehrerer Gruppen ihre Kräfte, um sich gemeinsam für faire Behandlung, öffentliche Leistungen und strukturelle Verbesserungen einzusetzen.
Strukturen verändern – Teilhabe ermöglichen
Regelmäßig organisieren die Dorfgruppen Aktionstage, etwa zum Internationalen Frauentag, zum Weltumwelttag oder zum Tag der Menschenrechte. Diese Veranstaltungen stärken nicht nur das Gemeinschaftsgefühl, sondern schärfen auch das Bewusstsein für soziale Ungleichheit, Diskriminierung und Umweltfragen.
Die Teilnehmerinnen setzen sich nicht nur für ihre eigenen Anliegen ein, sondern engagieren sich zunehmend auch für die Rechte anderer. In Zusammenarbeit mit lokalen Behörden führen sie Dialoge, machen Missstände sichtbar und fordern Unterstützung ein – etwa bei Landrechtsfragen, sozialer Absicherung oder Schutz vor Gewalt.
So entsteht aus individuellen Erfahrungen kollektive Handlungskraft und ein wachsender Einfluss auf lokale Entscheidungsprozesse.

Stimmen aus dem Projekt
Vom Schicksalsschlag zur Selbstständigkeit
Nazia Begum lebt in einem kleinen Dorf im Distrikt Dinajpur. Ihr Leben nahm 2007 eine dramatische Wendung, als ihr Ehemann einen Schlaganfall erlitt und fortan gelähmt war. Von einem Tag auf den anderen trug Nazia allein die Verantwortung für die Versorgung ihrer drei Kinder und die Pflege ihres Mannes. Um das Nötigste zum Leben zu verdienen, arbeitete sie in fremden Haushalten – Tag für Tag, oft bis an ihre körperlichen Grenzen. Als ihr Mann 2011 verstarb, war sie plötzlich alleinerziehende Mutter.
Neue Hoffnung brachte das Programm Ein Leben lang genug Reis, dem sie sich 2018 anschloss. Nazia nahm an Schulungen zu klimaresilienter Landwirtschaft teil, unter anderem zu umweltschonender Tierhaltung und Gemüseanbau. Mit dem erlernten Wissen erarbeitete sie einen Familienentwicklungsplan mit klaren Etappen und Zielen. Als Startkapital entschied sie sich für eine Milchkuh – eine Investition, die bald Früchte trug: Die Kuh bekam ein Kalb, das sie verkaufen konnte. Vom Erlös kaufte sie ein kleines Stück Land für die Viehhaltung.
Mit viel Ausdauer baute Nazia eine Ziegenzucht und eine kleine Hühnerfarm auf. Ihr Einkommen wuchs und sobald sie etwas Geld zur Seite legen konnte, investierte sie es in die Bildung ihrer Kinder. Ihr ältester Sohn besucht heute die 9. Klasse, der jüngere die 6. Klasse einer örtlichen Schule. Ihr größter Wunsch ist es, dass ihre Kinder einmal auf eigenen Beinen stehen.

Ein fester Bestandteil ihres Alltags sind die wöchentlichen Treffen ihrer Dorfgruppe. Dort erhält sie Schulungen zu Themen wie Ernährung, Gesundheit und Katastrophenvorsorge und findet Austausch, Unterstützung und Motivation. Gemeinsam mit anderen Frauen informiert sie sich über staatliche Leistungen und setzt sich für ihre Rechte ein. Ermutigt durch die Gruppe forderte sie erfolgreich ihre Witwenrente und eine monatliche Zulage ein.
Nazia Begums Weg ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie viel Kraft in Eigeninitiative, Wissen und solidarischer Gemeinschaft steckt. Sie gilt heute als Vorbild in ihrer Familie und ihrer Gemeinde und zeigt, wie aus schwierigen Umständen neue Perspektiven entstehen können.
Transformation zur klimaresilienten Landwirtschaft
Shahida lebt mit ihrer Familie im Distrikt Naogaon. Früher wohnte sie mit ihrem Mann und zwei Söhnen in einem einfachen, renovierungsbedürftigen Haus. Die Familie lebte in Armut und hatte oft nicht genug zu essen. Ihr Mann arbeitete als Tagelöhner in der Landwirtschaft, doch das Einkommen reichte weder für eine ausgewogene Ernährung noch für die Schulausbildung der Kinder.
Im Rahmen des Projekts Ein Leben lang Reis nahm Shahida an einer dreitägigen Schulung zur klimaresilienten Landwirtschaft teil. Gemeinsam mit ihrer Familie erstellte sie einen Entwicklungsplan und nutzte das Startkapital, um drei trächtige Schafe zu kaufen. Heute hält sie bereits 24 Schafe. Zusätzlich hält sie Enten und Hühner und pachtet ein Feld, auf dem sie Reis anbaut. Bisher konnte sie dort rund 600 Kilogramm ernten.
Ihr Ziel ist klar: Shahida möchte ihre Herde auf über 100 Tiere erweitern und als erfolgreiche Kleinunternehmerin anderen Frauen im Dorf Mut machen. Sie will zeigen, dass Veränderung möglich ist – Schritt für Schritt, mit Wissen, Unterstützung und Entschlossenheit.
Für Shahida bedeutet wirtschaftliche Unabhängigkeit mehr als nur ein besseres Einkommen. Sie möchte ihren Söhnen eine gute Ausbildung ermöglichen und ihnen damit neue Perspektiven für die Zukunft eröffnen.
Ihre Geschichte zeigt, wie klimaresiliente Lebensgrundlagen nicht nur Existenzen sichern, sondern echte Entwicklung ermöglichen, selbst in schwierigen Rahmenbedingungen.

Ausblick
Das Projekt Ein Leben lang Reis zeigt, wie Familien in extremer Armut Schritt für Schritt eigene, widerstandsfähige Lebensgrundlagen aufbauen können. Im Norden Bangladeschs haben tausende Haushalte so Einkommensquellen gesichert, Zugang zu Rechten erlangt und sich gegen Klimarisiken besser gewappnet.
Auch im Süden des Landes wird das Programm seit drei Jahren umgesetzt – in einer Region, die besonders stark vom Klimawandel betroffen ist. Der steigende Meeresspiegel führt dort zu versalzenem Trinkwasser, erschwert die Landwirtschaft und gefährdet vor allem die Gesundheit von Frauen.
Um den wachsenden Herausforderungen besser begegnen zu können, wird das Programm dort nun gezielt ausgebaut – gemeinsam mit weiteren langjährigen Partnerorganisationen. Zusätzliche Familien sollen aufgenommen werden, mit einem Fokus auf angepasste landwirtschaftliche Methoden, Zugang zu sauberem Wasser und gesundheitlicher Vorsorge. So wächst auch im Süden die Chance auf ein Leben in Sicherheit und Würde – trotz Klimakrise.
Ein herzliches Danke von den Familien im Norden von Bangladesch, die sich dank Ihrer Unterstützung Schritt für Schritt eigene, widerstandsfähige Lebensgrundlagen aufbauen können.
Download Projektbericht 298 – zum Ausdrucken
Unsere Unterstützung für die extrem armen Familien in Bangladesch geht weiter.

Gemeinsam mit Netz möchten wir auch weiterhin dazu beitragen, dass Familien ihre Existenz sichern können, deshalb führen wir dieses wichtige Projekt fort und freuen uns über jede weitere Unterstützung. So können Sie dazu beitragen:
Finanzielle Starthilfe für die wirtschaftliche Unabhängigkeit:
Für eine fünfköpfige Familie 135 Euro
Für ein Familienmitglied 27 Euro